Patientenverfügung

„Paparazzo“-Skulptur in Bratislava. Foto: Dickers

Plötzlich steht Ihr Atem still, steht in der Broschüre. Herzinfarkt. Motorradunfall. Wer entscheidet dann, ob Sie dauerhaft weiter beatmet werden sollen?

Muss ich das wissen? Müssen Sie wissen, steht in der Broschüre. Anderenfalls werden Sie einfach beatmet – oder auch nicht, wenn niemand weiß, wie lange Sie noch atmen wollen.
Ich mache mir Gedanken darüber, ob ich morgen die roten oder weißen Socken anziehen soll. Aber muss ich auch darüber nachdenken, ob ich morgen weiteratmen will, wenn mein Atem still steht?
Muss ich festlegen, wie lange ich atmen will, wenn ich nicht mehr atmen kann? Wofür haben wir Ärzte? Manchmal streiken sie. Irgendwann werden sie sich wieder mit dem Atmen beschäftigen.

Nein, sagt die Broschüre. Wenn ich nicht sagen kann, wie lange ich noch atmen will, muss ich das vorher verfügt haben. Ehe mein Atem aussetzt, soll ich festgelegt haben, ob er wieder in die Gänge kommen soll.
Patientenverfügung nennen sie das. Ich verfüge, wer über mich verfügen soll. Atem verlängernde, Leben verlängernde Maßnahmen muss ich bestellen, damit sie zum richtigen Zeitpunkt lieferbar sind. Würdelose Begleiterscheinungen könne es geben, wenn die Atemverlängerung nicht geplant ist. Qualvoll könne ich Wochen oder Monate lang ohne Atem oder aber mit dauerndem Atem da liegen. Kein menschenwürdiges Ende sei das, kein selbst bestimmtes Atmen. Nur ein Ende.

Das will ich nicht. Wahrscheinlich will ich auch kein Ende. Aber es kann so sein, sagt die Broschüre. Daher soll ich mich für ein verfügtes und betreutes Ende entscheiden.
Eine Person meines Vertrauens kann ich als Betreuer festlegen und einen Ergänzungsbetreuer bestimmen. Dann habe ich eine umso größere Sicherheit, wie das mit der Atemverlängerung geregelt wird. Die Betreuer werden entscheiden, wie ich betreut werde – ob ich auf Zimmer 403 bis 437 beatmet werde, auf Zimmer 401 bis 402 dagegen nicht.
Ich war tatsächlich schon einmal wirklich krank. Damals habe ich mich vom Arzt betreuen lassen. Beim Vertrauensarzt war ich. Der hieß so, weil ich ihm vertraute. Ich habe mich getraut, mich von ihm betreuen zu lassen.
Das ist nicht mehr so. Wahrscheinlich streiken deswegen die Ärzte. Vielleicht streiken sie auch, wenn sie erfahren, was ich verfügt habe. Vielleicht versorgen sie mich weiter, weil sie glauben, dass ich ihnen das zutraue. Am Ende überlebe ich das, und es gibt kein Ende für mich.
Ich werde alles daransetzen, das Atmen nicht zu vergessen. Dann muss ich auch nichts verfügen.

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1 Kommentar zu "Patientenverfügung"

  1. Rofl Sobek | 28. Januar 2016 um 11:52 |

    Lieber Peter Josef Dickers,
    Du machst das vollkommen richtig!
    Mögest Du immer:
    Luft zum Atmen,
    Feuer zum Wärmen,
    Wasser zum Trinken
    und Erde zum Leben haben,
    dann können wir fröhlich Deinen 100. Geburtstag miteinander feiern!

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